Texte

Gefangenen Info 427

Gemeinsam gegen Repression

Wir haben die Broschüre “Outlaw – Debattenbeitrag zu offensiven Prozessstrategien” Anfang dieses Jahres herausgebracht und organisieren abgesehen davon Diskussionsveranstaltungen in Berlin zum Thema Knast und Repression.

Seit des Erscheinens der Broschüre ist ein halbes Jahr vergangen. Die Diskussionsveranstaltungen, welche darin vorgestellt werden, liegen bereits mehr als ein Jahr zurück. Wir wollen nun noch ein paar weitere Entwicklungen aufzeigen, nicht weil wir alles besser wissen oder uns in der Position sehen, das Handeln anderer beurteilen zu dürfen, sondern weil uns einige Dinge positiv aufgefallen sind, seit des Schreibens der Broschüre. Zudem ist eine kontinuierliche Auseinandersetzung essenziell und wir möchten mit diesem Text nochmal einen Beitrag dazu leisten, dass diese nicht aufhört.

Es gibt eine Menge an aktuellen Beispielen, die zeigen, dass es viele Gruppen, Zusammenhänge und Personen gibt, die ein Interesse an diesem Austausch haben. An dieser Stelle wollen wir uns auch beim Gefangenen Info für die Vorstellung unserer Broschüre in der Ausgabe #423 bedanken. Die gegenseitige Bezugnahme ist uns ein wichtiges Anliegen, um Debatten auch über den eigenen Mikrokosmos hinaus zu führen. Natürlich fanden wir auch das Schwerpunktthema in der darauf folgenden Ausgabe spannend, konnten allerdings nicht so schnell einen eigenen Beitrag beisteuern.

Wir haben viele Aufrufe zur Prozessbegleitung sowohl im Gerichtssaal, als auch bei Kundgebungen davor, wahrgenommen. Diese wurden auf unterschiedlichsten Kommunikationswegen verbreitet, sei es digital auf Indymedia und anderen Plattformen oder per Zettel, Plakaten, mündlicher Weitergabe und ähnliches. Diese Form der Solidarität stärkt den Betroffenen den Rücken und zeigt, dass sie nicht alleine mit der Repression klar kommen müssen. Die vor Gericht gesammelten Erfahrungen wurden oft in Texten ausgewertet und analysiert. Dadurch kann im besten Fall die Angst vor diesen Momenten genommen werden. Häufig zeigt sich nämlich unserer Meinung nach, dass die Furcht auf der Anklagebank zu sitzen durch Unwissenheit über das Prozedere enorm aufgebauscht wird. So freut es uns umso mehr, dass es in den letzten Monaten anscheinend immer mehr Diskussionen über Prozessstrategien im Vorfeld von Gerichtsverfahren gab. Dies unterstützt zum einen wieder die Betroffenen selbst, da sie wissen, auf welche Unterstützung sie sich verlassen können. Zum anderen sind auch die Unterstützer*innen gefragt, sie müssen sich schon vorher klar positionieren und übernehmen in diesem Moment eine gewisse Verantwortung. Exemplarisch möchten wir ein paar Beispiele benennen die symbolisch für diese offensiven Momente der Solidarität und der offensiven Prozessstrategie stehen. Diese Auflistung ist natürlich nicht vollständig, aber es ist wichtig auf unterschiedlichen Kanälen die Informationen zu teilen und sich die Verfahren und Gefangenen immer wieder ins Gedächtnis zu rufen, wie auch Loїc, dessen Fall schon in der GI-Ausgabe #425 beschrieben wird.

Die drei vom Heinrichplatz…

…wurden im Herbst 2017 nach einer Videokundgebung, welche die Bullengewalt während der G20 Proteste in Hamburg thematisierte, am Heinrichplatz in Berlin festgenommen. Es folgten Anzeigen mit verschiedenen Kombinationen der üblichen Tatvorwürfe: versuchte Gefangenenbefreiung, Körperverletzung, tätlicher Angriff, Widerstand und Landfriedensbruch. Die 3 Heinis wurden nicht gemeinsam verhandelt, sondern mussten sich einzeln der Justiz stellen. In ihrem ersten Aufruf zur Prozessbegleitung stellten sie in Bezug auf Fabio fest, dass Solidarität eine effektive Waffe ist. Ihre Soligruppe organisierte Kundgebungen vor dem Gericht und sorgte für gefüllte Säle während der Verhandlungen. Die erste Person ging unter dem Druck einer angedrohten Bewährungsstrafe einen Deal ein. Darauf folgte eine ausgiebige und öffentliche Auseinandersetzung zu dem gelaufenen und den anstehenden Prozessen, in der auch ehrlich analysiert wurde, mit welchen emotionalen Druckmitteln gearbeitet wird und was das mit uns macht oder machen kann. Der zweite Heini verteidigte sich selbst und verließ den Saal, als die Supporter*innen rausgeschmissen wurden. Die Soligruppe hat eine Vielzahl von Ideen für eine offensive Prozessbegleitung vorgestellt und auch selbst ausprobiert: klatschen, nicht aufstehen, Transpis im Saal entrollen, Kundgebungen vor der Tür…

https://diedreiheinis.noblogs.org/

Love Graffiti – Hate Cops…

…im Januar 2018 wurden drei Personen festgenommen, denen vorgeworfen wird, Plakate mit G20-Bezug geklebt und politische Graffiti in einem sogenannten „Brennpunktkiez“ gesprüht zu haben. Nach der brutalen Festnahme wurden ihnen diverse Gegenstände weggenommen und auf DNA untersucht, welche in der DNA-Analysedatei gespeichert wurde. Der Prozess gegen sie wurde zunächst im August dieses Jahres angesetzt jedoch verschoben. Im Aufruf zur Prozessbegleitung beziehen sich die Schreiber*innen auf andere Prozesse, solidarisieren sich mit den Krawallmacher*innen des G20 und rufen dazu auf, diese und andere Aktionsformen weiter zu nutzen und erläutern deren Notwendigkeit.

https://de.indymedia.org/node/35732

#weilwireuchhassen!…

…wiederum drei Personen sollte im August der Prozess gemacht werden, nachdem es im April 2018 zu einer Auseinandersetzung mit Kontrolleuren in Berlin-Kreuzberg gekommen war. Zuvor hatten die Kontrolleure einen Passagier ohne Fahrschein körperlich angegriffen. Aufgrund der Unterstützung durch Menschen, die die Autorität der Kontrolleure nicht anerkennen und das Bezahl- und Strafsystem ablehnen, konnte die fahrscheinlose Person entkommen.

Der erste Prozesstag verlief ergebnislos, aber mit viel solidarischer Unterstützung und einer politischen Prozesserklärung. Weiter geht es erst im Januar 2020.

https://de.indymedia.org/node/35524

https://de.indymedia.org/node/35308

https://de.indymedia.org/node/21291

Ladendiebstahl lohnt sich…

…unter dem hübschen Motto: „Begrabt meine DNA am Heinrichplatz“ wurde dazu aufgerufen, eine*n Gefährt*in im Prozess zu unterstützen, welche*r im Dezember letzten Jahres von Zivicops vom Fahrrad geholt und zur DNA-Abgabe gezwungen wurde. Da es den Cops nicht reicht, die DNA zu klauen und Menschen mit der erniedrigenden und gewaltvollen Durchsetzung der Entnahme zu schikanieren, gab es noch eine Anzeige wegen Widerstands oben drauf. Im selben Prozess sollte auch noch ein Ladendiebstahl verhandelt werden. Diese Art der Enteignung ist ebenso ein widerständiger Akt und Menschen, die aufgrund dessen vor Gericht stehen, haben unsere Solidarität.

https://de.indymedia.org/node/35370

https://unitedwestand.blackblogs.org/neues-vom-winterdienst-von-dna-abgaben-streugutkisten-und-anderen-konstrukten/

There is no planet B…

…im August 2019 wurde Merle bei einer Baggerbesetzung im Braunkohletagebau “Vereinigtes Schleenhain” festgenommen. Mit ihr wurden 9 weitere Personen verhaftet, ED-behandelt und mitunter DNA entnommen. Vor allem innerhalb der Strukturen von Klimaaktivistis, gehört es seit ein paar Jahren zur, in Deutschland bisher wenig angewandten, gängigen politischen Praxis Angaben zur Identität zu verweigern. Diese Art von Widerstand ist oft erfolgreich und nervt die Cops. Nicht selten wird sie aber auch mit harten Konsequenzen bestraft. Auch in Merles Fall führte dies zu Untersuchungshaft wegen Hausfriedensbruch. Es wurde dazu aufgerufen gemeinsam zur Wache und zum Amtsgericht zu gehen, um die Gefangenen zu unterstützen und nun, da Merle in U-Haft sitzt, Briefe zu schreiben und zu zeigen, dass niemand allein ist, ob vor oder hinter den Mauern. Wie Merle geht und ging es vielen Gefährt*innen in der Lausitz oder im Hambacher Forst und anderen Orten. Unser Eindruck ist, dass sich dort viel mit Repression und möglichen Konsequenzen auseinandergesetzt wird, es einen Konsens und vor allem viel Solidarität gibt.

https://de.indymedia.org/node/35741

https://de.indymedia.org/node/35580

https://de.indymedia.org/node/35560

Die drei von der Parkbank…

…im Juli 2019, zum zweiten Jahrestag des G20, wurden in Hamburg drei Menschen auf einer Parkbank in Hamburg festgenommen, ihre Wohnungen durchsucht und zwei von ihnen in Untersuchungshaft gesteckt. Diese Verhaftungen haben eine Welle der Solidarität zur Folge, die überwältigend wirkt. Aus allen Ecken des Landes und international werden diverse Aktionen, Fotos und Grußbotschaften veröffentlicht, welche sich auf die Gefangenen und die Auseinandersetzungen beim G20 beziehen. Hierbei werden Verbindungen zwischen unterschiedlichen Kämpfen hergestellt und ohne jede Distanzierung oder den Versuch einer Unschuldskampagne bedingungslose Solidarität geübt.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat die Ermittlungen in dem Fall übernommen, die Gefangenen wurden massiven Schikanen unterzogen, ihnen wurde lange jeder Kontakt nach draussen untersagt und sie wurden von anderen Gefangenen isoliert. Sowohl drinnen, als auch draussen ist es weiterhin wichtig und notwendig sich solidarisch zu zeigen und dem Ziel des Staates, unsere Gefährt*innen zu isolieren, entschlossen entgegenzuwirken. Brennende Herzen lassen sich nicht einsperren!

https://parkbanksolidarity.blackblogs.org/

Lassen Sie uns über Mülltonnen reden…

…drei Personen werden im Zuge der Proteste gegen den G20-Gipfel in Hamburg festgenommen. Die Bullen werfen Ihnen vor, Teil einer vermummten Gruppe gewesen zu sein, die brennende Barrikaden errichtet und circa eine Stunde lang massiv eine Einheit Bullen angegriffen hat. Sie rechtfertigen die Festnahme durch ihre zivilen Einheiten mit folgenden Vorwürfen: schwerer Landfriedensbruch, Sachbeschädigung mit Feuer und Widerstand gegen Vollzugsbeamte.

Die drei Betroffenen werden für die nächsten zwei Tage zwischen verschiedenen Gefangenensammelstellen und Knästen rumgereicht. Ein*e Untersuchungsrichter*in entscheidet dann, dass ein Teil der Anschuldigungen offenbar nicht haltbar ist und so konnten die drei die Knäste verlassen.

Kurze Zeit später bildete sich eine Soli-Gruppe. Diese organisierte Veranstaltungen zu den bevorstehenden Prozessen in Hamburg und Berlin. Weiterhin wurde je eine Kundgebung zu den Prozesstagen direkt vor dem Gericht organisiert und zusammen mit allen drei Angeklagten eine Strategie und Prozesserklärungen ausgearbeitet.

Die Vorwürfe, die dann vor Gericht verhandelt wurden, lauteten versuchte Sachbeschädigung und Widerstand gegen Vollzugsbeamte. Die Prozesserklärungen der drei bezogen sich auf unterschiedliche Themenbereiche, zum einen wurde erklärt, warum Repression nicht individuell betrachtet werden darf und warum es wichtig ist, gegen die Welt der G-20 aktiv zu werden. Weiterhin wurde das Gericht an sich sowie die Urteile die durch diese Institution erlassen werden als Schauspiel entlarvt. Leider gingen die drei schlußendlich einen Deal mit dem Gericht ein.

Der ganze Prozess von der Festnahme bis zum Deal wurde in einer Broschüre (https://g20gruppenprozess.blackblogs.org/) dokumentiert und im Nachgang reflektiert. Diese Broschüre, die von der Soli-Gruppe erstellt wurde, gibt dabei ein detailliertes und ehrliches Bild von der Entscheidungsfindung während des Prozesses sowie in der Nachbetrachtung.

Anna und Arthur haltens Maul…

…im Kontext des G7-Gipfels im bayrischen Elmau fand am 5. Juni 2015 eine Spontandemonstration in Leipzig statt. Dabei kam es im Umfeld des Johannaparks zu Auseinandersetzungen mit Cops, Angriffen auf das nahe gelegene Bundesverwaltungsgericht mit Steinen und Farbe, sowie zur Errichtung von Barrikaden. Eine Person wurde in der Nähe von den Bullen aufgegriffen und zusammengeschlagen. Er wurde nach 8 Prozesstagen zu einer Strafe von 18 Monaten auf Bewährung sowie 100 Sozialstunden verurteilt. Er verweigerte jegliche Zusammenarbeit mit den Systemschergen.

Im Mai 2019 wurde er erneut von der Staatsanwaltschaft belästigt. Er sollte nun als Zeuge gegen seine Mitstreiter*innen von jenem Abend aussagen. Trotz der Androhung von Zwangsgeld und Beugehaft, verweigerte er auch hier jegliche Aussage. Zur Unterstützung kamen an diesem Morgen 30 Menschen mit vor die Staatsanwaltschaft und brachten Plakate und Transparente mit. Der Genosse konnte das Gebäude übrigens ohne weiter Repression verlassen.

https://antirepression.noblogs.org/post/2019/05/28/pssst-aussage-verweigert-solidaritaet-gegen-zwangsvorladung/

In Solidarität…

…Wie oben aufgeführt, bilden sich viele kleinere und größere Initiativen und Soli-Gruppen, um Prozesse von einigen aktiv zu begleiten. Ein warmes Gefühl Teil einer Bewegung und deren Kämpfen zu sein, breitet sich in unseren Herzen aus. Uns bestärkt es darin mit den notwendigen Diskussionen und Beitragen zu Deals und Einlassungen fortzufahren.

Es freut uns natürlich umso mehr, dass in der Gefangenen Info #424 ein thematischer Schwerpunkt die offensive Prozessstrategie ist, denn gerade dieses Heft ist ein Austauschmedium zwischen Knast und Außenwelt.

Der Text von Klaus Viehmann über Deals und Einlassungen spricht uns aus dem Herzen. Er gibt nicht nur sein Wissen und seine selbstgesammelten Erfahrungen zu dem Thema wider, sondern analysiert, warum der Staat uns meist einen Deal vorschlagen wird und warum wir diesen trotzdem nicht annehmen sollten.

In einem Text von “Solidarisch Kämpfen” wird auf die Repression im Zuge der G-20-Proteste eingegangen und warum viele der Betroffenen Deals gemacht haben. Sie stellen auch die Frage, warum so wenig Solidarität zwischen einer deutschen und migrantischen Linken bei u.a. dem Thema Repression vorhanden ist. Wir finden die Ursachenforschung, die sich dieser Frage anschließt im Text realistisch und danken den Verfasser*innen für die Thematisierung und ihre Gedanken darüber. Widersprechen möchten wir bei der Aussage, dass die z.B. nach § 129b-Gefangenen mehr Solidarität erfahren sollten, weil Ihre Haftbedingungen härter sind als die der G-20-Gefangenen. Es ist richtig, dass gerade kurdische und türkische Gefangene wenig Unterstützung von der deutschen Linken erfahren, diese Solidarität sollte jedoch nicht aufgrund der Schwere der Haftbedingungen erfolgen. Diese Bedingungen und Umstände werden unserer Meinung nach individuell sehr unterschiedlich wahrgenommen und daher auch gut / weniger gut ausgehalten. Vielmehr sollten die Gefangenen Solidarität erfahren, weil sie tatsächlich sehr oft einen offensiven Kampf vor Gericht und im Knast führen. Ein gegenseitiger Austausch und Gespräche über die verschiedenen Erfahrungen mit Prozessstrategien und Knast kann auch hier (wie in dem Text vorgeschlagen wird) nur hilfreich sein.

Zusätzlich möchten wir anmerken, dass das Thema Gefangene in der deutschen Linken leider meist nur solange in der alltäglichen Praxis vorhanden ist, solange populäre Personen aus der eigenen Bewegung sitzen. Sobald diese draußen sind, hören meist auch die Solidaritätsbekundungen mit anderen Gefangenen auf. Dies gilt es zu durchbrechen! Ein guter Anfang sind dabei die Anti-Knast-Tage im Oktober. Sie können ein Ort der tieferen Auseinandersetzung und der neuen Initiativen und Strategien sein.

Freiheit für alle Gefangenen!

FreeThemAll.noblogs.org